Ich war noch niemals in New York und andere unvorsichtige Angaben zur Person

Ich war noch niemals in New York. Udo Jürgens ist mein Zeuge. Ob Sie einem Toten Glauben schenken wollen, müssen Sie selbst entscheiden. Ob Sie Bücher lesen wollen, in denen getötet wird, ebenso. Geboren, so viel steht jedenfalls fest, wurde ich 1971 in Wiesbaden. Zunächst, das heißt die ersten zwanzig Jahre, lief alles scheinbar geregelt. Ich durchlief die üblichen Institutionen und wurde 1991 mit der Bescheinigung über ein bestandenes Abitur aus ihnen entlassen. Etwa ab da wird die Geschichte interessant. Und führt zwar nicht nach New York, aber doch zu einigen Toten.

Ich fing an, Konzerte zu organisieren für Bands, die Musik spielten, bei denen zartbesaiteten Zeitgenossen (die womöglich auch keine Bücher lesen wollen, in denen getötet wird), die Ohren bluteten. Ich verdingte mich sogar selbst als Sänger und später als Gitarrist in solchen Bands. Ich gab ein Fanzine heraus, ein in Eigenregie am heimischen Computer getextetes sowie mittels Schere und Klebestift gestaltetes „Fan-Magazin“, das sich mit eben solchen Bands, untergründiger Literatur und anderen interessanten Dingen beschäftigte. Das Heft firmierte unter dem indianischen Namen „Mugwump“ und brachte es auf stolze drei Ausgaben. Als nächstes meldete ich einen Verlag an und schaffte es, zwei Bücher zu veröffentlichen, bevor mir endgültig das Geld ausging. Ich organisierte Lesungen, legte Schallplatten auf, wo man mich ließ und bemühte mich überhaupt sehr ernsthaft, ein sinnvolles Leben zu führen.

Nach Absolvierung dieser „informellen Berufsausbildung“ wurde ich schließlich das einzige, was man mit der entsprechenden Biographie noch werden kann, nämlich Schriftsteller. Heute steht mein Name auf den Titelseiten von bislang vier Romanen, in denen getötet wird, zwei Bänden mit Kurzgeschichten, vier Gedichtbänden sowie drei Anthologien mit Kurzkrimis. Blutende Ohren muss niemand mehr befürchten. Lesenderweise den einen oder anderen Toten hinnehmen schon.

„Man ist erst Künstler, wenn man merkt, daß man einer ist, verstehen Sie? Wenn man nicht anders leben kann. Man versucht alles mögliche, und wenn gar nichts geht, wird man Künstler. Es ist für jeden die letzte Möglichkeit. Der letzte Ausweg.“ Klingt wunderbar heroisch und stammt aus dem Mund des Filmemachers John Cassavetes, dessen Werk, in all seiner Unausgewogenheit, für mich eine nie versiegende Quelle der Inspiration ist.

Wo man mich lässt, bringe ich meine Texte auch gerne öffentlich zum Vortrag. Bei der einen oder anderen Gelegenheit ließ ich mich dabei in der Vergangenheit von Gitarren- oder Saxophonklängen, manchmal auch von Diaprojektionen begleiten. Manchmal legte ich dazu auch ein paar Schallplatten auf. Manchmal lese ich auch einfach bloß etwas vor. Altmodische Zeitgenossen halten das für ausreichend. Ich selbst bin übrigens auch ein altmodischer Zeitgenosse – als hätten Sie das bei dem Wort „Schallplatten“ nicht ohnehin längst raunend registriert.

Und ich habe noch so ein Wort für Sie: „Solidarität“. Mindestens ebenso oft totgesagt wie die Schallplatte. Und mindestens ebenso zäh und überzeugend in ihrer Relevanz und ihren Überlebensqualitäten. Unter anderem im Verband deutscher Schriftsteller, kurz VS, der größten Interessenvertretung von berufsmäßig Schreibenden in Deutschland, die 1969 von Heinrich Böll und anderen weisen Menschen ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, den Arbeits- und Lebensbedingungen von Schriftstellern auf gewerkschaftlicher Basis ein gewisses Grundniveau zu sichern. Acht Jahre lang war ich hessischer Landesvorsitzender des Verbands und durfte in dieser Funktion zwar keine Toten produzieren, mich aber mit allem, was sonst so erlaubt ist, in die Kulturpolitik einmischen. Blutende Ohren hätte ich dem einen oder anderen Technokraten und Kunstverächter dabei durchaus gegönnt. Mindestens.

Weil ich mich aber nicht nur an meinen eigenen Worten berausche, habe ich in den letzten zwanzig Jahren in meiner Heimatstadt Wiesbaden an verschiedenen Orten verschiedene Lesungsreihen initiiert, die vor allem eines zum Ziel hatten: lebensnahe Literatur lebensnah zu präsentieren. Das galt für die monatliche Literatur-Show „Where the wild words are“ im Kulturzentrum Schlachthof ebenso wie für die Literatur-Lounge SPEAK TANK im Nachtclub „Gestüt Renz“, die Krimireihe „Schwarzer Freitag“ im Literaturhaus Villa Clementine oder die Autorenlesungen an Wiesbadener Schulen, die ich für den VS organisierte. Dabei bleibt es nicht aus, dass ich auch als Moderator Veranstaltungen präsentiere. Meist natürlich dort, wo es um Literatur geht. Aber auch für Musikevents und Diskussionsrunden hat man mich schon angeheuert – und, ganz aktuell, für die monatliche Videokolumne „Pfeiffers Kultur Kiosk“. Nur eine Veranstalterin von Modenschauen überlegte es sich dann doch noch anders. Irgendetwas muss ihr missfallen haben. Wahrscheinlich, dass ich noch niemals in New York war.